Da die aktuelle Politik den Sozialstaat angreift und wichtige Projekte für Gleichberechtigung kaputtspart, hat der Juso-Kreisvorstand Minden-Lübbecke einstimmig beschlossen: Das machen wir nicht mit.
Wir wollen nicht nur Stellung beziehen, sondern fordern die SPD sowie alle Organisationen und Parteien in Minden-Lübbecke, die für Menschenrechte stehen, dazu auf: Sprecht die Probleme der Landes- und Bundespolitik offen an und stellt euch dagegen. Nur gemeinsam können wir den Kurs verändern.
Disability Studies
In Hamburg soll das Zentrum für Disability Studies und Teilhabeforschung (ZeDiSplus) zum Jahresende geschlossen werden, weil die öffentliche Förderung durch den rotgrünen Senat nicht fortgeführt wird. Mitarbeitende haben bereits Kündigungen erhalten. In Köln ist die Internationale Forschungsstelle für Disability Studies (iDiS) infolge der Hochschulkürzungen der schwarz-grünen Landesregierung ebenfalls akut bedroht. Damit stehen zwei der drei eigenständigen Disability-Studies-Einrichtungen in Deutschland – neben dem Bochumer BODYS – auf der Kippe. Laut taz existieren bundesweit nur drei Professuren und weniger als zehn Lehrende und Forschende in diesem Bereich.
Im Jahr 2017 hatten rund 13 Millionen Menschen in Deutschland eine Behinderung oder Beeinträchtigung – knapp 16 Prozent der Bevölkerung, mit steigender Tendenz. Laut der aktuellen Berichterstattung vom Radio Westfalica habe 2023 „knapp jeder 12. Mensch im Kreis Minden-Lübbecke […] eine Schwerbehinderung [gehabt]“. Damit zeigt sich auch hier deutlich, wie wichtig ein Ausbau inklusiver Strukturen ist.
Ein Abbau dieser ohnehin schwach ausgebauten Infrastruktur verschärft die strukturelle Unterrepräsentation behinderungsbezogener Perspektiven in Forschung, Lehre und Politikberatung. Das Behindertengleichstellungsgesetz fordert ausdrücklich, Benachteiligungen abzubauen, Teilhabe sicherzustellen und eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen. Die UN-Behindertenrechtskonvention, welche in Deutschland seit 2009 geltendes Recht ist, verpflichtet unter anderem den Staat zur aktiven Förderung inklusiver Strukturen. Die Kürzungen widersprechen diesen Verpflichtungen eindeutig. Wer Inklusion ernst meint, darf hier nicht sparen.
Pflegegrad 1
Manche Bundespolitiker diskutieren, den Pflegegrad 1 stark einzuschränken oder zu streichen. Betroffen wären rund 860.000 Menschen, die als geringfügig pflegebedürftig eingestuft sind – darunter viele ältere Menschen, Menschen mit beginnender Demenz sowie Menschen mit leichten, dauerhaften Einschränkungen. Ausgehend von Zahlen aus 2023 wären bei uns im Kreis Minden-Lübbecke 3.051 Menschen betroffen.
Der Pflegegrad 1 umfasst keinen Anspruch auf Pflegegeld, eröffnet aber wichtige Zugänge: den Entlastungsbetrag von 131 Euro monatlich, Zuschüsse für barrierefreie Umbauten, die Kostenübernahme für Pflegehilfsmittel sowie Hausnotrufsysteme. Diese niedrigschwelligen Unterstützungsangebote erleichtern ein selbstbestimmtes Leben zu Hause und entlasten pflegende Angehörige. Eine Streichung mag kurzfristig Ausgaben reduzieren, führt langfristig aber zu höheren Kosten, weil mehr Menschen früher stationäre Pflege benötigen. Diese Überlegungen wären somit nicht nur sozialpolitisch ein Schritt zurück, sondern spiegeln auch ökonomische Kurzsichtigkeit wider.
Bürgergeld
Wir, die Jusos Minden-Lübbecke lehnen die geplante Bürgergeldreform entschieden ab. Härtere Sanktionen, geringere Freibeträge und verkürzte Karenzzeiten setzen auf Kontrolle statt Unterstützung und verschärfen die Lage jener, die bereits unter hohen Preisen, Unsicherheit und strukturellen Nachteilen leiden – darunter junge Menschen, Alleinerziehende und Langzeitarbeitslose. Die Lebensrealität von 4.315 (Stand November 2025) Menschen in Minden-Lübbecke, die Bürgergeld beziehen, wird durch diese Reform verschlechtert.
Besonders auffällig und widersprüchlich ist, dass sie ausgerechnet in einer Zeit vorangetrieben wird, in der die Bundesregierung die Ticketsteuer für den Flugverkehr senken möchte. Während Bürgergeldbeziehende teilweise keine Bus- oder Bahntickets bezahlen können, sollen Vielflieger und Fluggesellschaften entlastet werden. Diese Prioritätensetzung ist sozial- und klimapolitisch nicht nachvollziehbar.
Zudem bringt die Reform selbst kaum Einsparungen. Der finanzielle Effekt ist minimal und steht in keinem Verhältnis zu der sozialen Härte. Es handelt es sich um Symbolpolitik zulasten derjenigen, die keine starke Lobby haben – mitgetragen durch die SPD-Führung. Eine Partei, die soziale Gerechtigkeit als Kernversprechen trägt, darf keine Reform unterstützen, die Armut verschärft. Viele Mitglieder erleben dies als politischen Wortbruch.
Wir, die Jusos Minden-Lübbecke, unterstützen einstimmig das durch die Partei-Basis initiierte Mitgliederbegehren und rufen alle Genossinnen und Genossen auf, sich anzuschließen. Die Partei steht vor dem Scheideweg: Stehen wir laut und eindeutig an der Seite derjenigen, die auf Unterstützung und Solidarität angewiesen sind, oder tragen wir eine Politik mit, die die soziale Ungleichheit in unserem Land verschärft?
Fazit
Kürzungen bei Disability Studies, im Pflegebereich und beim Bürgergeld sind sozialpolitisch falsch, ökonomisch kurzsichtig und rechtlich fragwürdig. Statt Sparpolitik zulasten der Schwächsten braucht es Investitionen in Teilhabe, soziale Sicherheit und Chancengleichheit.
Nur so wird der Sozialstaat seinem Anspruch gerecht und nur so bleibt sozialdemokratische Politik glaubwürdig. Wir werden weiterhin dafür kämpfen, dass die SPD ihren Namen verdient – in der Partei und darüber hinaus.





