Die EU-Kommission hat in ihrem heute vorgelegten Bericht zur Rechtsstaatlichkeit Defizite in fast allen Mitgliedsstaaten aufgeführt. Aber die Mängel sind unterschiedlich gravierend. In Polen versucht die Regierung, den Justizapparat unter ihre politische Kontrolle zu bringen. In Ungarn ist der Premierminister auf seinem Weg zum Umbau des Landes in eine illiberale Demokratie schon besorgniserregend weit gekommen. Demgegenüber sind Probleme in anderen EU-Ländern weder so tiefgehend noch ähnlich politisch motiviert. Gegen die groben Verstöße muss die Gemeinschaft entschlossen, aber realistisch vorgehen.
Johannes Schraps, zuständiger Berichterstatter:
„Bei den gegenwärtigen Verhandlungen über die EU-Finanzen bis 2027 soll ein zusätzliches Instrument einführen werden, um diese Probleme anzugehen. Bei Verstößen gegen das Rechtsstaatsprinzip sollen künftig EU-Mittel einbehalten werden können. Gegenwärtig ist noch das Abstimmungsverfahren im Ministerrat dazu strittig. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat dazu kürzlich einen Vorschlag vorgelegt, der den von Bundeskanzlerin Merkel auf dem Europäischen Rat am 21. Juli 2020 verhandelten Kompromiss in konkrete Rechtstexte umsetzt. Auch wenn dieser Text einen Schritt hinter dem ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission zurückbleibt, hätte die EU damit endlich ein Instrument in der Hand, bei dem die Mitgliedstaaten mit qualifizierter Mehrheit beschießen, um gegen Rechtsstaatsverstöße vorzugehen. Die meisten Mitgliedstaaten tragen den Vorschlag mit und haben ihm heute zugestimmt. Bei den Finanzverhandlungen steht noch mehr auf der Agenda, insbesondere der Wiederaufbaufonds zur Bekämpfung der Pandemiefolgen. Europäischer Realismus legt nahe, diese, für den Zusammenhalt der EU existentielle Maßnahme nicht aufs Spiel zu setzen. Denn ein Fortschritt wäre das neue Rechtsstaatsinstrument auf jeden Fall.“